Birnen im Schnee

Einsamkeit und Zuversicht in Franz Marcs Hocken im Schnee

Hocken im Schnee_1911
Franz Marc, Hocken im Schnee, 1911, Öl auf Leinwand. Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München

Das ereignisreiche Jahr 1911 begann in Sindelsdorf kalt und frostig, jedoch mit großer Energie und Schaffensfreude. „Du kannst dir kaum vorstellen, wie wunderbar schön der Winter in diesen Tagen hier ist, schleierloses Sonnenlicht u. dabei den ganzen Tag Rauhreif; sehr kalt, aber von jener schönen, erfrischenden Kälte, die einen nur äußerlich, nicht innerlich frieren macht.“, schrieb Franz Marc voller Elan am 17. Januar 1911 ins ferne Berlin, wo Maria Franck bei ihren Eltern festsaß. Der inzwischen 34jährigen wurde bei ihrer Ankunft Anfang Dezember 1910 rigoros mitgeteilt, dass sie erst nach Bayern zurückkehren dürfe, wenn die gerichtliche Ehedispens erwirkt und Franz Marc wieder heiraten könne. Was für eine ausweglose und verzweifelte Situation, in der sich Maria Frank in diesen Wochen wiederfand! Der zehrende Kampf für eine gemeinsame Zukunft mit ihrem Fanny brachte sie an die Grenze ihrer körperlichen Kräfte. Um den Jahreswechsel 1910/11 verschlechterte sich ihr physischer wie psychischer Gesundheitszustand. Seelisch tief zerrüttet, fleht sie am 2. Januar 1911 Franz Marc an, sie in Berlin besuchen zu kommen: „Tröste mich – hilf mir – bring meinen Nerven Ruhe – eile am Sonnabend zu mir – ich erwarte dich so sehnsüchtig.“ Offiziell der Einladung ihrer Eltern folgend, reist Franz Marc, seine Arbeit nur ungern unterbrechend, nach Berlin, um seiner Lebensgefährtin ein paar Tage beizustehen. Sicherlich wird er ihr ausführlichst von seinen neuen Bekanntschaften erzählt haben, Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, die er durch den Kreis um Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky, der Neuen Künstlervereinigung München, kennenlernte, als sie gemeinsam einen Kammermusikabend mit Werken von Arnold Schönberg in München besuchten. Noch vor seiner Reise nach Berlin berichtet er Maria in überschwänglichen Zeilen über diesen beeindruckenden Abend. Die gewonnenen Eindrücke werden ihn noch lange und nachhaltig beeinflussen und auf seinem künstlerischen Weg begleiten. In diesem Winter sei er „ein ganz anderer Mensch geworden“. 

Nach seiner Rückkehr aus Berlin, in die Junggesellenwirtschaft von Sindelsdorf, nimmt er seine intensiv betriebenen Farbstudien wieder auf und setzt die Arbeiten an den Rehen im Schnee, Russi im Schnee und an einem großen Pferdebild fort. Enthusiastisch schreibt er an Maria: „Geht man spazieren, so tritt man auf Weiß oder hellstes Blau, was meinem Gefühl für Farbstil direkt ungereimt und lächerlich erscheint. Kannst Du das verstehen? Gegen Abend wird es chromatischer, statt blau weiß treten rosa und komplementär grünliche Töne auf, auch violett gegen farbige Abendluft.“ Trotz aller Beschwingtheit im Aufbruch zu einem neuen künstlerischen Ausdruck sind auch die Briefe von Franz Marc in diesen Wochen von einer zarten Melancholie erfüllt. Voller Sehnsucht harrt er die Tage auf die Rückkehr seiner Maria und lockt mit zuversichtlichen Worten: “ … hier riecht es schon nach Frühling, der Schnee schmilzt ganz ganz langsam am Tage, eine milde, sehnsüchtige Luft, die Dich herverlangt, ach wie heiß herverlangt …“ und ein paar Tage später, am 15. Februar 1911: “ … ich werde immer sehnsüchtiger nach meinem guten Lieb bei diesen milden, frühlingshaften Tagen.“ 

Vielleicht ist ihm in diesen alleinigen Vorfrühlingstagen auf einen seiner zahlreichen Spaziergänge durch das Murnauer Moos auch die Idee zu seinen berühmten Hocken im Schnee gekommen. Wer kennt sie nicht, die rot-grün orangefarbenen Heumanderl, die schon manchen Betrachter in Verzückung versetzten: „Das sind ja Birnen!“ und die man heute im Franz Marc Museum in Kochel bestaunen kann. Egal, ob das Bild nun verschneite Hocken oder doch tatsächlich Birnen im Schnee zeigt, erzählt es viel vom künstlerischen Umbruch Franz Marcs in dieser Zeit, aber auch von seinem inneren Seelenzustand: 

Mit den bedeutenden birnenähnlichen Hocken, die daneben auch Assoziationen an die berühmten Bienenstockdörfer in Syrien wecken, vollzieht Franz Marc seine Abkehr vom Naturalismus und seine Hinwendung zum Expressionismus. Er reduziert die Formen auf das Wesentliche und löst sich von der natürlichen Gegenstandsfarbe. Wer hat schon  je so faszinierende zinnoberrote, grüngelbe oder gar rotgelbe Grashocken gesehen! Wie eine unwegsame Vorgebirgslandschaft des Murnauer Lands ragen die Hocken aus der zerklüfteten Schneedecke. Einsetzendes Tauwetter befreit sie von ihrer winterlichen Last. Nur ihre Wipfel sind noch mit lichtem Schnee bedeckt. Leuchtend strahlend künden sie in der Dämmerung des Winterabends vom nahen Frühling. Das Dunkel des Winters wird überwunden, vertrieben von den Farben des Frühlings.

Trotz der dunklen Wintermonate, die Franz Marc in Gesellschaft von Helmuth Macke und seinem Hund Russi im Niggl-Haus von Sindelsdorf verlebte, war er voller Zuversicht, dass doch alles gut werden würde. Das Sehnen von Franz und Maria wurde allerdings noch auf eine lange Probe gestellt. Erst Ende März 1911 konnte Maria Franck nach Sindelsdorf zurückkehren. 

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Eine kleine Szene. Auf dem Speicher im Niggl-Haus, Sindelsdorf.
Vorfrühling 1911. 

Durch die Ritzen in der Speicherwand im Niggl-Haus pfiff der Fönwind, der den Schnee in diesen Vorfrühlingstagen zum Schmelzen brachte.  Zwar hatte in den vergangenen Tagen Tauwetter eingesetzt, doch war es hier oben in seinem Atelier noch empfindlich kalt, wenn Franz Marc in den frühen Morgenstunden, nach dem Frühstück, mit dem Malen begann. Dick eingehüllt, in einen schwarzen Mantel, mit Persianerpelz besetzten Kragen, steht er vor der Staffelei. Noch ließ der Frühling auf sich warten. Die Zigarette als Wärmespender zwischen seinen kalten, schmalen Lippen taugte nur wenig. Immer wieder musste er seine klammen Finger mit seinem Atem wärmen, um mit gezielten Pinselstrichen an seinen Hocken im Schnee weiterzuarbeiten. Oder, waren es doch, wie so oft vermutet, Birnen? 

Seitlich, neben der Staffelei, stand ein altes Holztischchen, darauf ein Teller mit drei hockenartig angeordneten Birnen. Er hatte sie vor ein paar Wochen aus dem kalten Keller geholt, die Letzten der späten Ernte: noch leuchtend in ihren Farben. Sie sollten ihm als Inspiration, als Modelle dienen, bevor sie nun begannen, langsam vor sich hin zu schrumpeln und zu faulen. 

Während er an dem Rest seiner Zigarette saugte und auf sein Werk blickte, kam ihm die Erinnerung an den wunderbaren Birnenkuchen in den Sinn, den Maria im vergangenen Herbst für ihn gebacken hatte. Birnen im Schnee, so hat er ihn getauft. Er seufzte. Ach, was gäbe er jetzt darum, für ein kleines Stück dieses wärmenden Kuchens für kalte (Herbst) Tage … 

Birnen im Schnee
Birnen-Walnusskuchen

Für eine Springform, Durchmesser 24 cm
100 g gemahlene Walnüsse
325 g Mehl
175 g Zucker
225 g kalte Butter
1 Ei
1 Eigelb
5 bis 6 kleine Birnen mit Stielen
1 EL Zitronensaft

Butter für die Form / Mehl zum Ausrollen / Semmelbrösel / Puderzucker zum Bestäuben

Für den Teig die kalte Butter würfeln und zusammen mit den gemahlenen Walnüssen, dem Mehl und Zucker, Ei und Eigelb zu einem glatten Teig verkneten. Den Teig abgedeckt für eine gute Stunde in den Kühlschrank stellen. Die Springform mit etwas Butter einfetten und den Backofen auf 175 Grad vorheizen. Die Birnen schälen und dabei die Stiele nicht entfernen. Von den Birnen unten eine dicke Scheibe abschneiden und die Kerngehäuse vorsichtig ausstechen bzw. ausschneiden. Die Birnen mit Zitronensaft beträufeln. Den Teig aus dem Kühlschrank holen. Für den Boden und Rand des Kuchens zwei Drittel auf einer bemehlten Unterlage auf Größe der Springform ausrollen. Mit dem ausgerollten Teig die Springform auslegen und einen Rand andrücken. Mit der Gabel in den Boden ein paar Löcher stechen und mit Semmelbröseln bestreuen. Anschließend die oberen Birnenhälften verteilt in die Springform setzen und die abgeschnittenen Birnenscheiben klein würfen und zwischen den Birnen verteilen. Den restlichen Teig nun ebenfalls auf Größe der Springform ausrollen und ihn auf die Birnen legen, so dass die Stiele sich gut durchdrücken. Den Teig andrücken. Den Kuchen bei 175 Grad (Ober- und Unterhitze) ca. 25 bis 35 Minuten auf der zweit untersten Schiene goldbraun backen. Den fertigen Kuchen gut auskühlen lassen und mit Puderzucker bestäuben.

Birnen im Schnee. Aus der feinen Mürbteigdecke spitzen die Stiele der Birnen.

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Ein Stillleben aus Birnen nach Franz Marcs Hocken im Schnee. 

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