Franz Marc, Vier Füchse, 1913

III.
In deinen tiefen Tieren aber,
Aus feuchten Augen gleichen Geistes dunkelnd,
Warst du mir ebenbürtig, Wald!
O, dein Geschöpf zu sein,
Nichts als ein Ton der Erde,
Der Schmetterling ein bunter Tropfen Sonne,
Und schlanke Füchse
Mit starkem Blut aus nahen Büschen fühlen:
Hingabe sein und brüderlicher Friede!
In deinen tiefen Tieren warst du mir geheiligt.
Und ich ergab mich dir,
Ging groß in Trieb und Düften auf.
Yvan Goll aus „Der Wald“, in
Menschheitsdämmerung – ein Dokument des Expressionismus, 1919
Franz Marc war ein äußerst fleißiger Briefeschreiber. Besondere künstlerische Kleinodien¹ stellen im Nachlass der Korrespondenz seine ab 1912 kunstvoll gestalteten Postkarten dar, die er zahlreich an seine Künstlerfreunde verschickte. So auch die Vier Füchse an Wassily Kandinsky oder der phantasievoll ausgearbeitete Postkartenwechsel, den er zeitweise mit Else Lasker-Schüler führte. Diese Form der ersten Skizze war nicht selten die Vorstufe oder der inspirierende Gedanke zu einem größeren Gemälde.
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Die kleine Miniatur der Vier Füchse weckt Assoziationen an Leoš Janáčeks Das schlaue Füchslein. Als ob Franz Marc 1913 eine Szene aus der Oper vorweggenommen hätte, die Janáček zwischen 1921 bis 1923 schreiben wird: das junge Füchslein Schlaukopf verlässt zum ersten Mal zusammen mit seinen Geschwistern den schutzgebenden Fuchsbau im Dickicht des Waldes, um die Welt zu erkunden. Die alte Füchsin versucht ihre Kinder auf die Gefahren des Waldes aufmerksam zu machen, während die Jungen, noch unsicher umherblickend, auf tapsigen Pfoten ihre Umgebung inspizieren.
Intensives reinhören in die Janáček-Oper und der Orchestersuite, die 1937 von dem tschechischen Dirigenten Václav Talich aus der Musik des ersten Aktes für den Konzertsaal zusammengestellt wurde. Nur wenige Takte benötigt Leoš Janáček, um uns einen klingenden Wald zu öffnen, mit einem Zirpen, Wispern und Rascheln, dem natürlichen Lebensraum von Tier und Mensch. Mährische Volksmelodien mischen sich mit Naturlauten. Ein scheinbar friedliches Neben- und Miteinander, eine Utopie.
Im schlauen Füchslein, das Janáček nach einem Comic von Rudolf Tesnohlídek und Stanislav Lolek komponierte, das 1920 in einer Brünner Tageszeitung erschien, entdecke ich die künstlerische Vision Franz Marcs wieder: „Ich suche einen guten reinen und lichten Stil, in dem wenigstens ein Teil dessen, was wir moderne Maler zu sagen haben werden, restlos aufgehen kann. Ich suche mein Empfinden für den Rhythmus aller Dinge zu steigern, suche mich pantheistisch einzufühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft, – suche das zum Bilde zu machen, mit neuen Bewegungen und Farben, die unseres alten Staffeleibildes spotten.“ Auch im Janáček-Füchslein begegnet uns die Harmonie der Natur, ihr Rhythmus und der ewige Kreislauf zwischen Leben und Tod.
Jagdhörner. Háraschta, der Landstreicher und Wilderer, schleicht unbemerkt durch die Reihen der Bäume, hält spähend Ausschau. Plötzlich hält er inne. Geräuschlos nimmt er sein Gewehr, legt an, zielt. Ein Schuss. Er tötet die alte Füchsin, um sich aus ihrem Fell einen Muff schneidern zu lassen. Der Muff, ein Hochzeitsgeschenk für Terynka, seiner Verlobten.
Begleitend von Janáčeks Klangbildern setze ich meine Reise durch die Bilderwelten von Franz Marc fort: Neben der Oper Das schlaue Füchslein lasse ich mich von seinem von Erinnerungen geprägten Klavierzyklus Auf verwachsenem Pfade, den Janáček ab 1903 nach dem Tod seiner Tochter Olga komponierte, inspirieren. Die feinen Klavierzeichnungen Leoš Janáčeks öffnen Räume für das Sehnen zwischen Franz und Maria und lassen ihre zarte Melancholie spürbar werden: Franz, der Zweifelnde und Suchende. Maria, die sich Verzehrende. Ihr sehnlichster Wunsch nach einem eigenen Kind sollte sich nie erfüllen.
Aus dem Arbeitsjournal vom 16. bis 29. September 2019
Verwachsen von zartkleinem Klee ist mir zum Mütterchen der Pfad.
Aus einem mährischen Hochzeitslied
¹ Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München, S. 184, Prestel Verlag, 2013
Das ist sehr interessant, lieber Michael! Zeit, wieder einmal Janáček zu hören. So tolle Musik, da gibt´s immer wieder viel zu entdecken und mit diesem Bild vor Augen… Danke für deine Arbeitsjournal-Gedanken. Herzlich, Susanne
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Liebe Susanne,
es freut mich sehr, wenn ich Dir Lust auf Janáček gemacht habe und dass Du hier meine Arbeit mit so großem Interesse verfolgst. Janáček ist wunderbar! Ich habe ihn auch lange nicht mehr gehört, aber jetzt bei der Beschäftigung mit Franz und Maria Marc hat er sich wieder in Erinnerung gerufen. Herzlicher Gruß zurück, Michael
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