Unterwegs durch blaue Welten

Gemeinsam mit Franz und Maria Marc das Blaue Land entdecken – Eine inspirierende Gebrauchsanweisung.


Wassily Kandinsky, Eisenbahn bei Murnau, 1909, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München

Wir sitzen im Zug. Mit raschem Tempo lassen wir die Stadt hinter uns. Die kleinen Vororte ruckeln an uns vorbei, denen wir aber nur wenig Beachtung schenken. Wie lange mag damals eine Fahrt von München nach Murnau gedauert haben? Noch heute ist man eine gute Stunde unterwegs, bevor uns die Stadt am Staffelsee, inmitten der beeindruckenden Landschaft, in Empfang nimmt.
Das Blaue Land hat schon früh die Kunstschaffenden fasziniert. Das malerisch gelegene Murnauer Moos vor dem sich abhebenden Estergebirge inspirierte bereits im Sommer 1902 Wassily Kandinsky, als er zusammen mit seinen Schülerinnen der Phalanx-Schule zum Landschaftsmalen in Kochel am See weilte. Später wird er zusammen mit Gabriele Münter, seiner langjährigen Lebenspartnerin, immer wieder dorthin zurückkehren. Er bestärkte 1909 Gabriele Münter auch in ihrem Entschluss, am Rande von Murnau, ein einfaches Haus zu kaufen. Im späteren Münter-Haus, das von der Murnauer Bevölkerung abschätzig als das „Russen-Haus“ bezeichnet wurde, nahmen viele zukunftsweisende Begegnungen ihren Anfang. So kamen Franz und Maria Marc, die im benachbarten Sindelsdorf lebten, oft herüber oder auch August Macke war, als man unter lebhaften Diskussionen den Almanach des Blauen Reiters konzipierte, bei Münter und Kandinsky zu Gast.
Nicht unweit vom Haus, das umgeben war von einem hübsch angelegten Garten, verlief die Bahnstrecke München-Garmisch, auf der Kandinsky die Züge mit den schweren Dampflokomotiven beobachtete und sich dabei zu seinem Bild Eisenbahn bei Murnau inspirieren ließ. Schwarze Wagons bahnen sich, gezogen von einer dampfenden und fauchenden Lokomotive, ihren Weg durch die kandinskysche Farbenlandschaft. Wir erhaschen, wenn wir aus den Fenstern blicken, „ineinander verschmolzene Farbfelder“. Am Rande der Gleise steht ein Mädchen in einem roten Sommerkleid und winkt uns Vorbeirauschenden zu. 

In den vergangenen zwei Jahren fuhr ich oft ins Blaue Land, das für mich während der intensiven Beschäftigung mit Franz und Maria Marc nicht nur bloße „Landschaft“ blieb, sondern vielmehr zu einem Synonym eines künstlerisch wie gesellschaftlichen Utopia wurde. Zu gerne wäre ich in diesem Jahr auch in Murnau ausgestiegen, hätte erstmals das Münter-Haus besucht oder eine Wanderung im Murnauer Moos und auf die Staffelalm unternommen. Das alles war in den vergangenen Monaten nicht möglich, leider. Corona zwang mich, meine Recherchen zu unserer Konzertlesung aus den Briefen von Franz und Maria Marc am Schreibtisch, mit Hilfe von Internet und zahlreichen Büchern, zu Ende zu bringen. An diese intensive wie stille Zeit der Vorbereitung schlossen sich im Oktober 2020 erfüllte Wochen des gemeinsamen Probierens an. Wie tat das gut, nach all den alleinigen Monaten, in einen künstlerischen Austausch zu treten! Gerade noch rechtzeitig schafften wir es, dieses besondere Projekt über die Ziellinie zu bringen, ehe im November die Museen und Theater wieder auf unbestimmte Zeit schließen mussten. In Kooperation mit dem Franz Marc Museum feierten wir am 1. November 2020 mit einem Premierentag Franz und Maria, bevor alle nachfolgenden Konzerte für das restliche Jahr abgesagt wurden.

August Macke, Franz und Maria Marc im Atelier, 1912, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München


Die Briefe von Franz und Maria Marc – eine belebende Bereicherung

In den vor uns liegenden Wochen heißt es einmal mehr ausharren und versuchen, sich in der Situation zurecht zu finden. Einfach ist sie für keinen von uns. Viele plagen in diesem Winter Zukunftssorgen und Existenzängste. In bangen Momenten stelle auch ich mir diese Frage: Was wird werden? Das Ungewisse lässt uns (ver)zweifeln. Wie soll das in den nächsten Monaten weitergehen? Auf lange Sicht keine Auftritte, geplantes Neues auf eine unbestimmte Zeit, in eine ungewisse Zukunft verschoben. Also, wie soll das werden? 

Wie soll das werden? Das klingt schon gar nicht mehr so verzagt, denke ich mir. Eher suchend und forschend. Eine (Auf)Forderung. Wie soll das werden? Etwas setzt sich in Bewegung. Ist in diesem täglichen Wie soll das werden nicht auch eine keimende Utopie versteckt? In den letzten Wochen musste ich oft über eine Stelle in einem Brief von Franz Marc nachdenken. Am 21.1.1911 schrieb er Maria Marc aus dem winterlichen „Sindelsdörfchen“ nach Berlin: „Alles was wir von alter Kultur noch mit uns schleppen, ist eine Gegenwart, die schon der Vergangenheit angehört; welcher Art neuer Kultur wir entgegengehen, wird kaum heute jemand sagen können, weil wir eben selber mitten in der Wandlung stehen.“ Wenige Zeilen später formuliert er eine Vision, einer „neugeborenen“ Kunst: „Sie muss so rein und kühn werden, dass sie alle Möglichkeiten zulässt, die die neue Zeit an sie stellen wird.“ 

Corona als Brennglas, unter dem unser gesellschaftlicher Zustand wie in einem Scheinwerferkegel grell ausgestellt und beleuchtet wird. Schonungslos werden wir konfrontiert mit einem Ist-Zustand, der uns nicht gefallen kann, nicht gefallen darf. „So kann es nicht mehr weitergehen“ hört man jetzt oft, von allen Seiten schallt der Ruf nach Veränderung, nach einem nachhaltigen Leben. Corona fungiert aber auch als Brandbeschleuniger. Es hat nicht lange gedauert, da waren sie da, die Menschenfänger, die mit Verschwörungsideologien die Ängste Vieler zu ihrer Waffe machten und für eine kompliziert gewordene Welt gar zu einfache und gefährliche Antworten versprachen. Auch das dürfen wir nicht unwidersprochen und tatenlos hinnehmen. Corona stellt uns als Gesellschaft auf eine existenzielle Probe. Wie wird das werden? Nein! Wie soll das werden! 

Die Gedankenspirale dreht sich. Die Vision Franz Marcs über eine sich erneuernde Kunst, die in dem brieflichen Austausch mit Maria Marc zum Ausgangspunkt eines fordernden Gedankenduells über die damalige gesellschaftliche wie politische Entwicklung wurde, hallt in mir nach, sie treibt mich an. Die Auseinandersetzung mit den Briefen von Franz und Maria Marc war in den letzen Monaten eine belebende Bereicherung, im künstlerischen wie geistigen Sinne. Obwohl die Premiere trotz aller äußeren Widrigkeiten stattfinden und man die Entwicklung der Konzertlesung zu einem schönen Abschluss bringen konnte, ist die Reise durch das Blaue Land noch nicht zu Ende. Vieles will noch erzählt und weitererdacht werden.

Nur zu gerne möchte ich diese Reise mit Euch gemeinsam fortsetzen. Viele von Euch haben mich bereits in den vergangenen zwei Jahren bei den Vorbereitung zu unserem Franz-und-Maria-Projekt begleitet, unterstützt und so wunderbar mitgefiebert. Dafür ein großes Dankeschön Euch allen. 

Franz Marc, Zwei Pferde, 1910, aus Skizzenbuch XV, Franz Marc Museum Kochel a. See, Stiftung Etta und Otto Stangl

Einladung zur gemeinsamen Reise durchs Blaue Land

Wie wäre es, wenn wir nun gemeinsam durch die blauen Welten des Blauen Reiters reisen würden? Wäre es nicht fantastisch, die kommenden Wochen mit viel Farbe zu bereichern und nicht in einen lethargischen Stillstand zu verfallen? In meinem Blog-Arbeitsjournal fülle ich das Reiselogbuch mit vielen – hoffentlich für Euch – interessanten Geschichten rund um unsere Hauptprotagonist:in Franz und Maria Marc.

So erwartet uns bei Beginn der Reise Russi, der treue vierbeinige Begleiter Franz Marcs, um uns auf dem Weg nach Sindelsdorf zu begleiten. Dort, im ungemütlichen Atelier von Franz empfängt uns zunächst Maria, um aus ihrem ereignisreichen Leben zu erzählen, welches geprägt war von den Erinnerungen an einen der größten Expressionisten. Welche Schätze liegen im Atelier ausgebreitet vor uns! Wir blättern vorsichtig in den Skizzenbüchern von Franz Marc, die seinen Weg zum Blauen Reiter auf so besondere Art und Weise nachzeichnen und begeben uns auf Spurensuche seines Wesens, das sich hinter dem blauen Pferd verbirgt. Zwischendurch zupfe ich Euch aus dem Schnürboden Bilder von den Blauen Reiter:innen, die mich in den vergangenen Monaten inspirierten und reiche dazu die eine oder andere kleinere Notiz, bevor August Macke zu Besuch kommt, der Lebensfrohe. Er überredet den Lebensfreund Franz zu einem Streifzug durch das Blaue Land, auf der Suche nach dem Paradies und dem einzig wahren künstlerischen Ausdruck. Sie entdecken Paul Klee, der zwischen den Welten von Theater und Bildender Kunst wandelt, während Gabriele Münter gefordert ist, sich als Malerin neu zu finden.

Viele Begebenheiten, um sie bis weit ins kommende Jahr hinein hier und in den Räumen der sozialen Netzwerke (Twitter, Instagram und Twitter) zum Leben zu erwecken. Und ich würde mich sehr freuen, wenn ihr beim Erzählen mit dabei seid! Die Gelegenheit nützend, werde ich nun auch endlich damit beginnen, meine Blog-Räume Das Foyer und Die Kantine mit #TheaterweltenGesprächen zu bespielen. Vielen Dank an dieser Stelle für den alles entscheidenden Anstupser, der von Damian Mallepree und seinem #GoetheMoMa kam, für das er im Herbst 2020 mit dem #DigAMus-Award Social Media 2020 ausgezeichnet wurde. Herzlichen Dank für die Gespräche und dem gedanklichen Austausch.

#MeinBlauerReiter – Kleine Gebrauchsanweisung zur Reise

Unter dem Hashtag #MeinBlauerReiter ermuntere ich Euch, die Blauen Reiter:innen neu zu entdecken, ihre Visionen und Utopien nachzuspüren, sie mitzunehmen für unsere Gegenwart, um sie mit dem Hier und Jetzt in Beziehung zu setzen. Galoppieren wir gemeinsam durch das Blaue Land! Egal, ob ihr auf Eurem Blog über Eure Begegnungen mit Macke, Marc & Co erzählen wollt oder ob ihr nur einfach Euer Lieblingsbild auf Instagram, Twitter oder Facebook präsentiert, erzählt von Eurem Blauen Reiter! 

Welches ist Euer Lieblingsbild? Erzählt davon! Welches Gemälde hat Euch bei einer Ausstellung bewegt und fasziniert Euch bis heute? Was verbindet Ihr mit den einzelnen Künstler:innen des Blauen Reiters oder einer anderen expressionistischen Kunstbewegung? Wie zeitlos sind ihre Ansichten, Gedanken und Utopien? Welche Utopien benötigt unsere Gegenwart für die Zukunft? Lasst Euch von den Blauen Reiter:innen inspirieren! Erzählt Eure Geschichte. Nehmt uns mit in Euer Blaues Land. Wo findet ihr Euer persönliches Utopia Blaues Land? Inszeniert das Blaue Land neu! Alles was zählt ist die Inspiration! Es lebe die Phantasie! 

Eure Geschichten teilt ihr mit dem Hashtag #MeinBlauerReiter auf Instagram, Facebook und Twitter. Natürlich freue ich mich auch über  kleinere Malereien, Skizzen, wieder entdeckte oder selbst gestaltete Postkarten, Collagen. Ebenso warte ich gespannt auf Eure Blogbeiträge, die ich hier gerne verlinke und sammle: 

Susanne Peyronnet
#MeinBlauerReiter: Kunst lieben – Eine Frage von Alter von Wissen (03.01.2021)

mus.er.me.ku – News zu Kunst und Kultur
Der Blaue Reiter: Ein Almanach für den Expressionismus – Eine Ausstellung der Fondation Beyeler 2016/17

Anke von Heyl
In deinen tiefen Tieren (06.01.2021)

Wibke Ladwig
Sehnsucht nach Kunst, Begegnung mit Kunst (05.02.2021 im Rahmen von #ComMuWity des Museums Wiesbaden und der August-Macke-Ausstellung „Paradies! Paradies?“)

Kunsthalle Karlsruhe
Dr. Sebastian Borkhardt, „Der Blaue Reiter. Ein Aufbruch – der inzwischen vielleicht zu sehr Gewohnheit geworden ist (12.02.2021)

Damian Mallepree
Goethisches blau – ein Ausflug (18.03.2021)

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