Tagesschnipsel Dezember 2022
Ein roter, hell leuchtender Herrnhuter Stern vor einem Tabakladen in der Schweriner Altstadt, November 2022
1. Dezember 2022
Ereignisreich und schnell war er rum, der November, mit vielen Begegnungen und Gesprächen auf meinen lieb gewonnenen Lesungen. Die intime Form, ich mag sie. Von Miesbach über Penzberg nach Esslingen und dann weiter noch hinauf in den Norden nach Schwerin, ging es quer durch die Republik. Schon habe ich alles hinter mir gelassen, schon gilt es den Rest November gedanklich in meinen Tagesschnipseln zu ordnen, schon befinden wir uns auf der Zielgeraden zum Jahresende hin. Doch das Erzählen muss warten. Ein „hitziges“ Mitbringsel von meinen Reisen gehört sich vorher noch auskuriert. Eine fetzen Erkältung! Auch das soll es noch geben, mit allem Drum und Dran. Mit dumpfdöseligen Kopf starte ich in den Advent. Möge er uns zur Besinnung bringen, denke ich, als ich mir die wenigen Bilder ansehe, die ich aus Schwerin mitgebracht habe. Die Stadt war schon vorweihnachtlich gestimmt und überall sah man die Herrnhuter Sterne leuchten und funkeln, vor den Geschäften, in den Wohnungen. Irgendwie haben sie in diesem dunklen Jahr etwas besonders tröstliches.
10. bis 12. Dezember 2022
Ein letztes Mal in diesem Jahr unternahmen wir gestern mit Ich will Dich an der Hand führen, um Dir die Wunder der Welt zu zeigen eine Fahrt ins Blaue Land, Haltestation: Rosenheim. „Was für ein tröstlicher Abend in diesen Zeiten“, so ein Zuhörer nach der Konzertlesung im Künstlerhof, das dann doch gut besucht war. (Ist ja leider derzeit nicht selbstverständlich.) Vom Blauen Land aus über Rosenheim ging es für mich nach Saarbrücken. Dort erster Schnee, Besuch des Historischen Museums Saar und Kennenlernen saarländischer Spezialitäten: Gefilde und Merguez. Schon setzt das Jahr zu seinem Endspurt an.
13. Dezember 2022
Seine Bücher haben mich zum Lesen verführt, haben mir ganz neue Phantasiewelten eröffnet. Zusammen mit Astrid Lindgren, Otfried Preußler oder auch Christine Nöstlinger versorgte Paul Maar mich in meinen ersten Lesejahren mit einem nie enden wollenden Nachschub an Lesestoffen. Was habe ich seine Bücher geliebt – und gefressen! Mit Paul Maar erlebte ich auch mit knappen acht Jahren meine erste Autorenlesung. Eine kleine Maus-Widmung zeugt heut noch in der Eisenbahn-Oma davon. Das war wohl am 24. März 1988 in unserer Stadtbücherei. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Paul Maar erzählte und zeichnete mit schnellen Strichen so leidenschaftlich von seinen Protagonisten, dass wir kleinen Steppkes, die wir auf dem Fußboden vor ihm knieten, nicht genug davon bekommen konnten. Nach seiner Eisenbahn-Oma, die es leider nur noch mit viel Glück antiquarisch zu kaufen gibt, verbrachte ich meine darauffolgenden Sommerferien mit Lippels Traum. Bis heute eines meiner Lieblingsbücher von Paul Maar. Sehr viel später inszenierte ich dann sogar als mein erstes Kindertheaterstück einen wahren Paul-Maar-Klassiker: Kikerikiste. Heute an seinem 85. Geburtstag denke ich gerne an meine ersten Leseerlebnisse mit Sams & Co zurück und freue mich auf den neuesten Paul-Maar-Band für Erwachsene: Ein Hund mit Flügeln und seinem Roman über seine Kindheit, der schon länger hier auf dem Stapel der Ungelesenen liegt. Genug Lesestoff für die Zeit zwischen den Jahren.
Oben grinsen Bartholomäus und Kümmel aus der blauen Kiste, unten links sind aufgereiht einige Paul-Maar-Klassiker und rechts die Maus-Widmung mit Autogramm von Paul Maar vom 24.3.1988.
17. Dezember 2022
Erster Schnee
Wie nun alles stirbt und endet
Und das letzte Rosenblatt
Müd sich an die Erde wendet,
In die warme Ruhestatt:
So auch unser Tun und Lassen,
Was uns heiß und wild erregt,
Unser Lieben, unser Hassen
Sei ins welke Laub gelegt!
Reiner, weißer Schnee, o schneie,
Schneie beide Gräber zu,
Daß die Seele uns gedeihe,
Still und kühl in Winterruh!
Bald kommt jene Frühlingswende,
Die allein die Liebe weckt,
Wo der Haß umsonst die Hände
Träumend aus dem Grabe streckt!
Gottfried Keller (1819-1890)
Noch mehr Schnee, noch mehr Winter! In den letzten Tagen hat es hier ordentlich geschneit und bevor es in den kommenden Tagen – pünktlich zum Fest – ebenso ordentlich tauen soll, rasch noch ein Spaziergang durch das Städtchen im Schnee. Ich schlendere an den Buden des Christkindlmarktes vorbei, der in diesem Jahr zum ersten Mal im Kurpark zu finden ist. Idyllisch stehen sie aufgereiht unter den verschneiten Bäumen, rund um den Weiher verteilt. Das Romantikerherz schlägt höher. Der glitzernde Schnee, aufgetürmt auf den Ästen der Bäume thronend, wirkt beinahe wie „zu viel des Guten“. Kaum auszuhalten, diese vorweihnachtliche Glückseligkeit, die einem bei diesem Anblick innwendig erfüllt. Ich genieße für einen kurzen Augenblick die Stille der frühen Vormittagsstunde. Meine Gedanken gehen zu den Menschen in der Ukraine, die in den vergangenen Tagen einmal mehr unter den russischen Angriffen zu leiden haben. Wie werden sie dort mit Bangen und Hoffen auf die kommenden Wochen blicken? Wie werden sie Kälte, Schnee und Eis, der permanenten Bedrohung von Raketen und Drohnen trotzen? Auch heute Morgen wieder eine Welle von Angriffen auf die Infrastruktur des geschundenen Landes. Die Angreifer kennen kein Erbarmen.
Sonniger Wintertag: Verschneite Bäume und Sträucher am zugefrorenen Irlachweiher im Kurpark Bad Aibling.
24. Dezember 2022
Nun kommt die Nacht mit ihren weichen Schwingen
Vom Himmel, der in tausend Sternen steht.
(Stefan Zweig)
Friedvolle Weihnachten!
Der dunkelblau ausgeleuchtete Altarraum der Evang. Christuskirche Bad Aibling mit geschmückten Christbaum. An der Decke schwebt ein weißer, leuchtender Herrenhuter Stern.
31. Dezember 2022, Silvesterabend
„Es ist ein Weinen in der Welt“ (Else Lasker-Schüler)
Draußen dröhnt der Silvesterabend. Weit vor Mitternacht Böllersalven in der Nachbarschaft. Der Hund kläfft ängstlich, rotiert im Kreis. Wieder eine Salve. Laut Wikipedia sind „Salven ernst zu nehmende Herzrhythmusstörungen, die behandelt werden müssen“. Die Welt da draußen, eine einzige Rhythmusstörung. Ein Ächzen und Zischen, ein Surren, ein Knallen. Ich kann es nicht begreifen. Muss das tatsächlich sein, in diesem Jahr? Muss es überhaupt noch sein, in dieser Welt? Als ob es nicht schon genug totbringendes Raketenzischen in dieser Welt geben würde. Abgesehen vom ganzen Dreck, der in dieser Nacht tonnenweise in die Luft gesprengt wird. Diese Gleichgültigkeit. Dieser Egoismus. Der Sound von pfeifenden Raketen und bellenden Böllern als zynischer Kommentar zu den Meldungen aus der Ukraine. Während hierzulande völlig sinnbefreit Millionen verpulvert werden, wird kurz vor dem Jahreswechsel die Ukraine wieder von Kamikaze-Drohnen angegriffen. Für die Städte Odessa, Mykolajiw sowie Dnipro wurde Luftalarm ausgelöst. Bereits am Nachmittag Raketenangriffe auf die ukrainische Hauptstadt Kyiv. Explosionen in der Stadt. Die Menschen werden die Neujahrsnacht in Bunkern verbringen.
Draußen dröhnt der Silvesterabend.
* Das Dezember-Motto ist dem Gedicht „Das Christkind“ von Robert Walser (1878-1956) entliehen.