Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese ist die unsere

Tagesschnipsel Februar 2023

1. Februar 2023
Der Februar beginnt stürmisch, kalt und regnerisch. Vom angekündigten Neuschnee jedoch keine Spur. Für morgen sind ergiebige Regenfälle vorhergesagt. Nur in den oberen Lagen soll es ordentlich schneien. Ich beginne den Monat mit dem Nachtrag der letzten Tage in meinem Arbeitsjournal. Pflege es nun wieder täglich, meine Seiten zu schreiben. Auch warten meine Tagesschnipsel im Blog. Für das Veröffentlichen hab ich noch immer nicht meinen Rhythmus gefunden. Aber allein das Tun wird den richtigen Takt ergeben. (…)
Die Lage in der Ukraine unverändert. Der Krieg ist an einem Tiefpunkt. „Der Krieg wird von Russland derzeit massiv eskaliert.“ Wie oft, frage ich mich, kann ein Krieg eskalieren?

2. Februar 2023

„Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.“ (Franz Kafka)

Die ganze Nacht über stürmt es und prasselt der Regen auf die gegenüberliegenden Garagendächer. Ein äußerst ungemütlicher Tag mit Wind, Regen und Kälte. Grau in grau. Ich versuche an meinen begonnenen Texten zu Ein Kind unserer Zeit weiterzuarbeiten. Auch wenn die letzte Vorstellung bereits gespielt ist, darf die Produktion auf meinem Blog noch nachklingen. Geplant hatte ich das Erzählen ja schon im Januar, begleitend zu den letzten beiden Aufführungen. Aber die Zeit, die Muse und eine gewisse Antriebslosigkeit zu Beginn des Jahres standen mir beim Erzählen im Wege. Nun also jetzt! (…)
Der morgendliche Blick auf die Nachrichtenlage verheißt nichts Gutes. Noch am Abend wurde ein Raketenangriff auf die ostukrainische Stadt Kramatorsk gemeldet. Die Rakete traf wieder ein Wohnhaus, das völlig zerstört wurde. Mindestens drei Tote wurden unter den Trümmern gefunden. (…) Die Menschen setzen ihre ganze Hoffnung auf die Unterstützung des Westens. (…) Die Schlacht um die ostukrainische Stadt Bachmut gleicht der „Hölle auf Erden“. (…) Die Stadt, eine Geisterstadt. (…) Zum ersten Jahrestag des russischen Kriegsbeginns am 24. Februar wird vor einer Zunahme der Angriffe gewarnt. Von massiven russischen Raketenangriffen ist die Rede. (…) Die Ukraine fordert neue Waffen. Was werden die kommenden Februarwochen bringen? Die Tage sind wieder sehr angespannt. (…) In Wolgograd, dem heutigen Stalingrad, hält der russische Machthaber P. eine öffentliche Rede zum 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetarmee über die Truppen Nazi-Deutschlands. „Es ist unglaublich, aber deutsche „Leopard“-Panzer bedrohen uns wieder“, so P. Er fügte hinzu, dass Russland den Ländern, die es bedrohten, „antworten“ werde.
Die restliche Weltlage weiter desaströs:
Der Nahostkonflikt flammt seit Tagen wieder auf. Die Situation zwischen Israel und Palästinensern ist äußerst angespannt. In der vergangenen Nacht flog Israel weitere Angriffe auf den palästinensischen Gazastreifen. Und die Lage im Iran? Unverändert. Das iranische Regime unterdrückt mit brutaler Gewalt den Ruf nach Freiheit und Demokratie.

3. Februar 2023
Wiederholt erschreckende Äußerungen des russischen Außenministers, der darüber schwadroniert, dass der Westen die „Entlösung Russlands“ geplant habe, in Anspielung auf die „Endlösung der Judenfrage“ der Nationalsozialisten. Es ist unvorstellbar. (Man denkt, man hört nicht richtig. Es ist unfassbar.) Wir hier in Deutschland machen uns überhaupt keine Vorstellung, welche abscheuliche Propaganda in Russland tagtäglich den Menschen entgegengeschleudert wird – und das seit Jahren. (…) Man möchte kotzen. (…) Die putinischen Drecksschleudern der Propaganda verbreiten hasserfüllt die unfassbarsten Lügen und untermauern damit die Mär vom „Kampf gegen die westlichen Nazis, die Russland vernichten wollen“. (…) In den Propaganda-Sendungen der Staatssender vollziehen sie einen täglichen orgiastischen Rausch des Hasses, der sich ins unermessliche steigert.

5. Februar 2023
In der Wochenendausgabe der Süddeutschen zahlreiche Artikel, die ich in mein Journal hinten einlege, unter anderem ein lesenswertes Interview mit dem im Exil lebenden russischen Schriftsteller und Dramatiker Wladimir Sorokin, das ich hier kurz zitieren möchte.
„Wir sind alle schuldig“, so die Überschrift des Gesprächs. Sorokin betont darin die Mitverantwortung des russischen Volkes an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung des Landes, des Überfalls auf die Ukraine. Er spricht von einem „toten Körper des Sowjetischen“, der beim Niedergang der Sowjetunion nicht begraben wurde, eine Art Zombie. Ein Untoter, der wieder zum Leben erwacht ist. „In der Zeit vor Jelzin wurde er in die Ecke geschoben und mit Spänen bedeckt. in der Hoffnung, dass er von alleine verwest. Aber er erwies sich als lebendig – im infernale, jenseitigen Sinn -, und wieder zum Leben erweckt haben ihn die Fürstreiter imperialen Ressentiments im Fernsehen und darüber hinaus (…) Und nun verwüstet er fremde Städte und droht der Welt mit der Atomkeule. Nicht umsonst ist die Chiffre dieses wahnsinnigen Krieges ein Z – Zombie.“

6. Februar 2023
Schreckliche Nachrichten beim Aufwachen: In der Nacht starkes Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion bei Gaziantep. Noch ist das Ausmaß der ganzen Katastrophe nicht absehbar. Wo bleibt das Positive?
Ich lese und höre wie jeden Morgen die Nachrichten, mache mir Notizen und schreibe schon am Vormittag als erstes mein Journal, das immer mehr zur Stütze wird. (Allein der Vorgang des Schreibens öffnet neue gedankliche Räume.) Am gestrigen Sonntag gab es auch wieder einen Raketenangriff auf die Stadt Charkiw, eine der vielen geschundenen Städte der Ukraine. Ein Universitätsgebäude und ein Wohnhaus wurden getroffen. Diese Hochburg der ukrainischen Kultur und Literatur – tief verwundet.

7. Februar 2023
Über die Nacht stieg die Zahl der Todesopfer im Grenzgebiet von Türkei und Syrien auf nahezu 5000. Was für eine Katastrophe. Hunderte Familien werden im syrischen Gebiet noch unter den Trümmern vermutet. In Syrien haben die verheerenden Beben vor allem Menschen getroffen, deren Leben ohnehin schon von dem zwölf Jahre andauernden Krieg gezeichnet war. Krieg, Vertreibung und Flucht. Millionen Binnenflüchtlinge, die vor der Katastrophe in Notunterkünften wie baufälligen und leerstehenden Häusern hausten, mussten die Nacht bei eisigen Temperaturen und Schneefall im Freien verbringen. Wie schlimm kann es für diese Menschen noch kommen? Am Abend ist die Zahl der Todesopfer weiter angestiegen.

8. Februar 2023
Erneut wird die Zahl der Todesopfer nach oben gesetzt: mehr als 9.400 Menschen verloren bis jetzt ihr Leben. In den Medien geht ein Bild des Fotografen Adem Altan viral. Er hat eine berührende Szene mit seiner Kamera festgehalten. Regungslos sitzt Mesut Hancer auf einem Schuttberg und hält die Hand seiner 15jährigen Tochter Irmak, die bei dem Erdbeben in Kahramanmaras unter den Trümmern ums Leben kam. Gleichzeitig kleine Wunder. Ein schwer zu fassendes Nebeneinander. In Syrien wird ein Baby lebend geborgen, das offenbar während der Katastrophe zur Welt kam. Der Säugling hat unter den Trümmern überlebt. Es war noch mit der Nabelschnur mit der bei dem Beben getöteten Mutter verbunden. (…) Und während die Menschen sowohl in der Türkei als auch in Syrien um ihr bloßes Leben kämpfen lässt der türkische Präsident weiter die Kurden-Gebiete bombardieren. Bomben auf das Katastrophengebiet! Es ist so unfassbar.
Es sind wieder solche Tage, an denen man sich fragt, in welchen Zeiten wir leben. Zugleich ist man dankbar, dass man (noch) als Zaungast, mit sicherem Abstand, auf das Tollhaus „Welt“ blickt. Heute nichts geschafft. Kein guter Tag.

9. Februar 2023
Waren es am gestrigen späten Abend noch mehr als 15.000, wurden es im Verlauf der Nacht über 16.000 und zum späten Donnerstagvormittag hin stieg die Zahl der Toten auf über 17.000 an. Von Stunde zu Stunde schwindet in den Erdbebenregionen die Hoffnung, noch Lebende aus den Trümmern zu bergen. Zwar erreicht ein erster Hilfskonvoi die Rebellengebiete in Syrien, doch fehlt es den Helfern dort am Wesentlichen. Mit bloßen Händen und Schaufeln versuchen die Menschen verzweifelt die Trümmer zu beseitigen. Eine Jahrhundertkatastrophe.
Während in einem Teil der Welt ganze Dörfer und Städte von Naturgewalten ausgelöscht werden, vollzieht das in einem anderen Teil der Mensch. In der Ukraine – eine menschgemachte Hölle. Der Krieg tobt weiter. Russische Streitkräfte verstärken offenbar ihre Angriffe in der Ostukraine erheblich.

10. Februar 2023
Die Weltlage – völlig aus dem Gleichgewicht? Krisen über Krisen. Aber es ist nicht die Zeit, nicht mehr hinzuschauen. Daher versuche ich weiter, jeden Tag, meine Gedanken zu „klären“, im Schreiben zu sammeln, um zu verstehen.

16. Februar 2023
Unverhofft kommt oft. Alles andere muss hinten anstehen. Völlig verrückt, waghalsig, springe ich ein und übernehme aufgrund von Krankheit kurzfristig die Regie von Jean-Paul Sartres‘ Der Teufel und der liebe Gott am Theater für Niedersachsen in Hildesheim. Probenbeginn am kommenden Montag. Premiere 18. März! Mir bleiben keine 72 Stunden um mich mit dem Stoff vertraut zu machen und die Koffer zu packen.

* Das Februar-Motto ist entliehen von Jean-Paul Sartre (1905-1980).

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