Einen Raum denken für den Zwilling der „Zauberflöte“

Erste Ahnungen für den Bühnenraum meiner Inszenierung von Mozarts La clemenza di Tito auf Schloss Maxlrain 2018

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Erste Raumstudie, Skizze Bühnenraum von La clemenza di Tito. Skizzenbuch, Pastellkreide, November 2017

La clemenza di Tito, Mozarts letzte Oper neben dem Zwilling „Zauberflöte“, ist eine seiner Dunkelsten und Hellsten zugleich. So empfinde ich es  noch heute, nach all den Monaten und Wochen der Beschäftigung mit diesem großen Stück Musiktheater des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Dieser erste Eindruck verstärkte sich, je intensiver ich mich in die einzelnen Charaktere der Oper vertiefte. Ähnlich, wie in der Wochen zuvor komponierten Zauberflöte, spielt die Nacht eine zentrale Rolle: die dunkle Nacht, das Unheil verkörpernd, als Gegenspielerin des Lichts, des heilbringenden Tages. 
In der Zauberflöte dringt im Schutze der Nacht die Königin mit ihrem Gefolge in die heiligen Tempel ein, um sich den siebenfachen Sonnenkreis zurückzurauben. Ebenso verfahren die angestifteten Schergen in La clemenza di Tito, die  ihren Terror in der Dunkelheit über die ganze Stadt Rom bringen werden. 

Während in der Zauberflöte die Protagonisten noch als märchenhafte Charaktere (Königin, Prinz, Prinzessin)  gezeigt werden, der Vogelfänger Papageno, als naher Verwandter des Kasperls, des Arlecchino der Commedia dell’arte, als verbindendes Element agierend, zwischen Bühne und Publikum nach dem Sinn des Lebens suchend umherirrend, zeichnet sie Mozart in seiner Clemenza als Menschen in einer Zeit des Um- und Aufbruchs. In der Clemenza schickt keine sternflammende Königin mehr einen Prinzen in den Kampf gegen das scheinbar Böse, doch auch hier wird der junge, liebende Held zum Spielball und gerät zwischen die Fronten von Machtinteressen und Begierden:

Aus der Königin der Nacht entpuppt sich Vitellia, eine ebenso liebende, wie verletzte Frau, die sich die bedingungslose Liebe Sestos, ebenso gutgläubig wie sein „Bruder“, der Zauberflöten-Tamino, zu eigen macht und ihn als Waffe im Kampf um den römischen Thron instrumentalisiert. Blind vor Liebe radikalisiert sich der romantisch empfindsame Sesto und schreckt selbst vor Mord an seinen besten Freund, Titusnicht zurück. Titus, der Menschenfreund, der stille Seelenverwandte Sarastros, dem Verteidiger des Lichts. 
Sesto zur Seite stehend vermittelt Annio, der Jugendfreund der beiden Kontrahenten und in seiner sensiblen und lebensbejahenden Grundhaltung mag er uns an einen gereiften Papageno erinnern, der seinen Humor trotz aller Widrigkeiten des Lebens nicht verloren hat. Viel mehr bildet er zusammen mit Sestos Schwester Servilia, in ihrem Wesen der Pamina nicht unähnlich, das wahre Liebespaar, welches scheinbar das große Liebesglück gefunden hat. Dieses Lebensglück bewahrend, versuchen sie es vor den äußeren Einflüssen, Verführungen  und Angriffen zu beschützen. Ob es ihnen gelingen wird? 

Unerschrocken und voller Innigkeit beschwören sie im Duett Ah perdona al prima affetto ihre Liebe. In der Zauberflöte bleibt es ebenfalls Pamina und Papageno vorbehalten, das einzige wirkliche Liebesduett der ganzen Oper miteinander zu singen, obwohl sie gar kein Liebespaar sind: Bei Männern, welche Liebe fühlen. Und noch eine beeindruckende Gemeinsamkeit verbindet Servilia mit Pamina:
Servilia, die Standhafte, eine moderne junge Frau der Aufklärung, widersetzt sich dem kaiserlichen Befehl, Titus Ehefrau zu werden. Diese bedeutende Szene im ersten Akt der Clemenza wiederholt sich nahezu identisch in der Zauberflöte. Auch dort spricht Pamina gegenüber Sarastro die Wahrheit. Sowohl Titus in der Clemenza, als auch Sarastro in der Zauberflöte zeigen sich von dieser Standhaftigkeit und Ehrlichkeit beeindruckt.

La clemenza di Tito ist Mozarts Fidelio.
Aus den Notizen, Arbeitsjournal, April 2018.

Die Parallelen der Zauberflöte und La clemenza di Tito sind frappierend und dennoch wagt Mozart mit seinem Titus Neues und komponiert innerhalb kürzester Zeit ein eigenständiges, zukunftsweisendes Musikdrama. Zusammen mit der Zauberflöte kündete Mozart mit der Clemenza eine neue Epoche an und stimmte das damalige Musiktheater auf eine neue Zeit ein: die der romantischen Oper. Wenn Vitellia am Ende des zweiten Akts ihr Rondo Non più di fiori vaghe catene anstimmt, muss man unweigerlich an Beethovens Leonore denken. Mozarts Clemenza als Vorwegnahme des Fidelio.

Wie unter einem Mikroskop seziert Mozart in seiner Clemenza die Emotionen und Gefühle der handelnden Menschen. Er hatte ganz genaue Vorstellungen, wie das in die Jahre gekommene Opera seria-Libretto Metastasios bearbeitet werden muss, um seine Wirkung beim Publikum nicht zu verfehlen. Er verdichtet und verknappt, er wählt ganz bewußt eine zweiaktige Fassung, die bis heute Bestand hat. Im Vergleich könnte man seine Clemenza als „Destillat“ der Zauberflöte bezeichnen:

Wirken die Menschen in der Zauberflöte vielleicht schablonenhaft und arg typisiert (dies ist wohl dem Libretto Emanuel Schickaneders geschuldet), so agieren sie in der Clemenza viel mehr als Individuen, die mit sich und den anderen kämpfen. In La clemenza di Tito konzentriert sich Mozart auf das Wesentliche, schält die Figuren heraus und befreit sie zusammen mit seinem Librettisten Caterino Mazzolà von der ganzen Symbolik, die uns noch bei der Zauberflöte begegnet und uns stellenweise so ratlos zurücklässt. Im Grunde haben Mozart/Mazzolà mit der Clemenza ein intimes, psychologisches Kammerspiel geschaffen: verstörend, dicht und modern. Ja, vielleicht gar noch moderner als seine große Zauberflöte, welche knappe drei Wochen später, am 30. September 1791 in Wien uraufgeführt wurde.

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Inspirationen werden zu Material und verschmelzen zu Collagen, werden zu ersten Ideen für einen Raum. Parallel dazu entstehen meistens erste Skizzen und Studien. Für den Clemenza-Raum ließ ich mich bei Hammershøi, Menzel, Munch und von den Räumen der Villa Stuck in München, sowie den verwaisten Interieurs des Südbahnhotels auf dem Semmering inspirieren. 

Während ich versucht habe, die Geschichte, sowie die oben beschriebene Komplexität des Stoffes zu verinnerlichen, machte ich mich ab Spätherbst 2017 auf die Suche nach einem geeigneten Raum für die Clemenza, dem „Zwilling“ der Zauberflöte.

Anders als die Zauberflöte mit ihren zahlreichen Orts- und Szenenwechsel und Bühneneffekten konzentriert sich die Clemenza auf wenige überschaubare Schauplätze, gezielt eingesetzte Aktionen, welche ich gerne zu einem Raum zusammenfassen wollte. Außerdem erfordert die Clemenza aufgrund ihres Kammerspiel-Charakters eine Konzentration des Raumes. Eine aufwendige oder gar komplizierte, unübersichtliche Bühnenkonstruktion verbietet sich, sie würde den Ablauf des Stückes nur unnötig behindern und stören. Der Bühnenraum sollte es mir zudem erlauben, mit sogenannten „Schwarzblenden“ zu arbeiten, einer Technik, die man aus dem Film bestens kennt, die ich aber bis jetzt bei meinen Theaterarbeiten nur sehr selten einsetzte. Auch hier versuche ich Mozart szenisch zu folgen: wenn man genau hinhört, hat bereits Mozart musikalische „Schwarzblenden“ komponiert, um für einen raschen, wie einfachen Szenenwechsel zu sorgen. Eine zu Ende gehende Szene wird musikalisch ab und zur darauffolgenden Szene übergeblendet. Der Raum wird und muss sich daher bei den einzelnen Szenen nicht wesentlich ändern. Allein die innere Haltung und das Spiel der Schauspiel-Sänger verändern den ansonsten leeren Raum.

Zu Beginn der Überlegungen stand ein Art Turm, ein Stahlgerüst, welches in verschiedenen Geschossen unterteilt, eine Art Machtzentrum des Titus symbolisieren sollte. Diese Idee verwarf ich jedoch bereits nach einer Nacht und ab Anfang November 2017 konkretisierte sich der Raum und ich beschäftigte mich mit einem einfachen, jedoch wuchtigen Bühnenkasten, der die gesamte Mitte der Bühne in der Reithalle von Schloss Maxlrain ausfüllen sollte, umrandet von einem goldenen, massiven Rahmen:

Aus dem Skizzenbuch, 7. bis 9. November 2017

Alles verdichtet sich. Ein enger Raum, mehr Kammer als Saal, in seiner Wirkung massiv, der übergeht in das „schwarze“ Universum der Welt, ins scheinbare Nichts, ins Ungewisse. Dahinter eine andere, unbekannte und neue Welt, welche auch von Zeit zu Zeit in diesen Raum eindringt und ihn besetzt. Die handelnden Menschen darin sind wie Gefangene, eine Art „Geschlossene Gesellschaft“, mit ihren Träumen und Sehnsüchten, mit ihrem ungelebten und teilweise fremdbestimmten Leben. Alle agieren in einem Rahmen, der ihnen teils Sicherheit und Schutz bietet, der sie teils aber auch einengt und an einem frei bestimmten Leben hindert. Die Menschen versuchen den Rahmen zu sprengen, zu überwinden. Sie wollen aus diesem Raum, ihrem Leben entfliehen. 

Raumstudien mit einfachen Bühnenkasten, hinten offen, La clemenza di Tito, Skizzen mit Acryl und Pastellkreide, November 2017

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Raumstudie für La clemenza di Tito. Skizze mit Acryl und Pastellkreide, November 2017.

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Weiterentwicklung des Raumes mit einem Blick durch schwarzen Schleiernessel ins Universum. Skizze mit Acryl und Pastellkreide, November 2017.

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