Die Nacht, in der das Fürchten wohnt

Rede auf der Demonstration »Für Vielfalt, Toleranz und Demokratie« in Wasserburg a. Inn am 1. Februar 2025




Liebe Demokrat:innen,

diese Woche sollte, wie jedes Jahr Ende Januar, ganz im Zeichen der Erinnerung stehen, im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Doch achtzig Jahre nach der Befreiung des Tötungslagers Auschwitz-Birkenau, wurde ausgerechnet in Deutschland dieses Erinnern überlagert, von einem infamen parteipolitischen Machtspiel, das ohne Not der parlamentarischen Demokratie großen Schaden zugefügt hat. Aus niedrigen Beweggründen vollzog sich vor unser aller Augen ein Tabubruch, der in die Geschichtsbücher eingehen wird. Sich radikalisierende Konservative brachen skrupellos das Versprechen, das wir seit Generationen den Millionen Opfern des Holocaust gaben und deren Vermächtnis uns Auftrag war: Nie wieder. 

»Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden«, schrieb einst Fritz Bauer, der Generalstaatsanwalt und Ankläger bei den Frankfurter Auschwitz-Prozessen. Wir sind mittendrin. Es zeigte sich in den vergangenen Tagen deutlich, dass unsere Erinnerungskultur, auf die wir uns allzu gerne berufen, über ein rituelles Bemühen nicht hinausgewachsen ist. Erinnern ist mehr als Kränze an den Gedenktagen niederzuwerfen und wohlfeile Reden zu halten, die keinen Widerhall in unserem zivilgesellschaftlichen Zusammenleben oder in den Parlamenten finden. Was ist unsere Erinnerungskultur noch wert, wenn 80 Jahre nach der Shoah, Politiker:innen im Deutschen Bundestag ihre Mehrheiten im rechtsextremen Block suchen? Mittags noch vollzogen sie heuchlerisch das Erinnern, bevor sie wenige Stunden später, ohne große Bedenken und Mühen, den Rechtsextremen die Hand reichten, sie einluden, ihre menschenverachtende und gesetzwidrige Agenda mitzutragen. 

»Küsst die Faschisten«, ein Ausspruch Kurt Tucholskys in seinem Gedicht Rosen auf den Weg gestreut, war nicht als Aufforderung gedacht, sondern es war vielmehr die literarisch-stechende Abrechnung mit einer Republik, die es nicht geschafft hat, eine klare Haltung gegen ihre Feinde einzunehmen.

Was sich in der vergangenen Woche im Deutschen Bundestag ereignet hat, macht mich fassungslos. Es sind dunkle Tage für unsere Demokratie.

Ich ringe immer öfters mit meinen Worten, wenn ich auf die Geschehnisse und Entwicklungen der letzten Monate blicke. Ich habe das Gefühl, dass meine Sprache nicht mehr ausreicht, um das beschreiben zu können, was alles auf dieser Welt an Unvorstellbaren geschieht, was es mit mir macht, wenn ich die gleichbleibenden Meldungen aus der Ukraine verfolge, wo nun seit drei Jahren ein brutaler Krieg mitten in Europa tobt – wo ein verbrecherischer Kriegstreiber nicht zurückweicht oder wenn ich Menschen aus Israel und Gaza mit ihren Schilderungen höre, wo der barbarische Terrorakt der Hamas soviel Leid über das ganze Land gebracht hat, das bis heute kein Ende findet.

Ich kämpfe mit meiner Fassungslosigkeit, wenn ich sehe, wie eine der ältesten Demokratien auf dieser Welt in einen autokratischen Staat umgebaut werden soll. Amerika, das uns 1945 von der nationalsozialistischen Diktatur befreite. Schon hat der 47. Präsident, ein verurteilter Straftäter und Demokratieverächter, den Befehl zur Jagd auf Menschen unterschrieben, schon werden queere Menschen ihrer Menschenwürde beraubt, lang erkämpfte Frauenrechte beschnitten und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen diffamiert. Dies geschieht alles innerhalb weniger Stunden. Und in Österreich soll tatsächlich ein Rechtsradikaler Kanzler werden.

Ich empfinde mein Sprachvermögen für zu klein, für das Verstörende, was um uns herum passiert – was uns, mich umtreibt, in diesen Tagen. Auch hier, in diesem, unserem Land.

Auch unsere Demokratie ist bedroht. Diese Entwicklung kommt nicht überraschend. Viele haben in den letzten Jahren eindringlich davor gewarnt. Nicht selten kam es vor, dass die warnenden Worte belächelt oder gar als Hysterie abgetan wurden.

»Ich resigniere. Ich kämpfe weiter, aber ich resigniere«. Auch dieses Kurt Tucholsky-Zitat, eine der prägendsten Stimmen der Weimarer Republik, mag uns in diesen Tagen aus der Seele sprechen.

Resignation können wir uns aber in den kommenden Wochen nicht erlauben. Auch kein bequemes Zurücklehnen mehr, welches zu oft mit dem reflexartig zitierten Satz »Das muss die Demokratie schon aushalten« einherging. Jetzt kommt es auf uns alle an. Jetzt gilt es, dem Vermächtnis der Zeitzeug:innen des Holocaust Rechnung zu tragen.  

Wir müssen unsere Fassungslosigkeit überwinden. Als offene und liberale Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts haben wir die Pflicht, der geschichtsrevisionistischen und nationalistischen wie völkischen Ideologie einer rechtsextremen Partei mutig entgegenzutreten. Diese  menschenverachtende Ideologie vergiftet unser Zusammenleben und zerstört unsere Demokratie.

Nichts darf unversucht bleiben. Unsere Demokratie ist wehrhaft. Es darf nie wieder geschehen. Dieses, über Generationen getragene Versprechen, haben wir gegenüber den Überlebenden der Shoah wie Max Mannheimer und den Millionen Opfern und Verfolgten des Nazi-Regimes einzulösen. Umso irritierender ist es daher, dass die im Deutschen Bundestag vertretenen demokratischen Parteien, bei dem Verfahren zur Einleitung eines Prüfungsverfahrens auf ein Verbot der AfD, nicht zu einer gemeinsamen Haltung finden.

Unsere Gesellschaft benötigt mehr denn je ein vielfältiges wie kritisches Erinnern. Erinnern heißt, Haltung zeigen und die Demokratie verteidigen.

Wenn wir in drei Wochen an die Wahlurnen gerufen werden, um unsere Stimmen bei der anstehenden Bundestagswahl abzugeben, sollten wir ganz genau hinsehen, wem wir da unser Vertrauen schenken, wem wir die Verantwortung für unsere Land übertragen möchten. 

Das ruchlose Vorgehen der CDU/CSU und ihren Mitstreitern bei der FDP darf nicht vergessen sein. Sie haben es getan. Sie erpressten wiederholt den politisch-demokratischen Mitbewerber und geiferten nach den Stimmen der Rechtsextremen. Sie haben es getan und sie werden es wieder tun.

Trotz ihres gestrigen Scheiterns, kann man ihnen nicht mehr trauen. 

»Er würde  alles noch mal genauso machen«, so Friedrich Merz, gestern in einem ARD-Brennpunkt. Der Kanzlerkandidat der CDU/CSU hat in dieser Woche gezeigt, wozu er fähig, aber auch willens ist. »Das ist eine Woche, die für Klärung gesorgt hat«, so Friedrich Merz weiter im Interview. Am Horizont dämmert schon die schwarz-blaue Koalition. Allein die AfD lacht und feixt und zeigt der Demokratie ihr hämisches Grinsen. 

Wir alle tragen die Verantwortung für unsere Zukunft und den nachfolgenden Generationen.

Es sind dunkle Tage, ja. Aber wir hier und unzählige Menschen in diesem Land sind mehr. Wir stehen ein für ein Miteinander, für eine Gesellschaft aus Vielfalt und Toleranz. Wir sind eine wehrhafte Demokratie. Das dürfen wir nie vergessen. 

Ich möchte Euch am Ende Mascha Kaléko mit auf Euren Weg geben. Mascha Kaléko, die jüdische Schriftstellerin, die vor den Nationalsozialisten fliehen musste und dennoch nie den Mut verloren hat:

Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond.

Seien wir in diesen dunklen Zeiten für einander die Sterne und der Mond.


Die Rede wurde am 1. Februar 2025 auf der Demonstration für Vielfalt, Toleranz und Demokratie gehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

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