Nie wieder ist jetzt – eine Zäsur in unserer Erinnerungskultur

Rede auf der Demo »Prien steht zusammen – für Demokratie und Vielfalt«
3. Februar 2024



Am 27. Januar, dem alljährlich wiederkehrenden Holocaust-Gedenktag, vollzogen wir, wie die Jahre zuvor, einmal mehr das Gedenken an die Millionen Opfer des Nationalsozialismus. Doch dieses, in den letzten Jahrzehnten praktizierte, routiniert-zelebrierte Erinnern, hat nun endgültig,  mit den Erkenntnissen aus den Veröffentlichungen von Correctiv vom 10. Januar 2024 eine bittere Zäsur erfahren.

Von unserer viel gerühmten Erinnerungskultur, auf die wir so gerne mit stolzer Inbrunst verwiesen, wurde der Mantel der Tatenlosigkeit gerissen. Allzu sehr waren wir mit dem Niederlegen von Kränzen, dem Bauen von Denkmälern und dem inszenierten Erinnern für das eigene bundesrepublikanische Seelenheil beschäftigt, ohne zu merken, dass dies unserer Verantwortung für das beschworene „Nie wieder“ schon längst nicht mehr gerecht wird. 

„Es könnte eine Zeit kommen, in der es als politisch nicht mehr opportun gilt, den Verbrechen der Vergangenheit jene Namen zu geben, die ihnen gebühren; erst dann werden wir beweisen können, wieviel uns die Freiheit wert ist.“ Ein Zitat aus dem Jahre 1959 des Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll. Ein Zitat, dass uns in diesen Wochen aufrütteln muss.

Die Fassungslosigkeit darüber, was in Auschwitz geschah, weicht in diesen Tagen einer neuen Fassungslosigkeit, einem bösen Aufwachen in der Gegenwart. 

Offensichtlich diente unser Erinnern jahrelang vor allem der Selbstberuhigung, als der tatsächlichen Aufarbeitung und dem damit verbundenen Verstehen, was Erinnern im 21. Jahrhundert für uns als demokratische Gesellschaft tatsächlich bedeutet. 


Wenn wir uns unserer Verantwortung für dieses »Nie wieder« tatsächlich bewusst wären, dann hätten Teile von Politik, Medien und Gesellschaft nicht mehr oder weniger tatenlos zugesehen, wie eine rechtsextreme AfD in Wort und Tat immer mehr Land gewonnen hat; dann würde eine AfD nicht bundesweit bei knapp 20 Prozent stehen und dann würde sich auch nicht ihre menschenverhöhnende Sprache und ihr Denken in unserer Gesellschaft einnisten und sich in einem widerlichen Populismus manifestieren, den wir gerade bei den konservativen Parteien unnachgiebig erleben müssen und dann kämen Politiker*innen von demokratischen Parteien doch gar nicht auf die Idee, mit diesen Rechtsextremen gemeinsame Sache zu machen! Egal ob in Gemeinde- oder Stadträten, egal ob in den Landtagen oder im Bundestag – man macht sich als Demokrat*in nicht gemein mit Rechtsradikalen, mit Verfassungsfeinden, deren Ziel es ist, unser Land zu zerstören. Als wehrhafte Demokrat*in unterstütze ich keinen Antrag von der AfD, sondern ich bringe ohne Wenn und Aber eigene Anträge ein, auch wenn das ein Mehraufwand in der demokratischen Arbeit bedeutet.

Wir alle müssen dafür kämpfen, dass dieses »Nie wieder ist jetzt« tatsächlich Bestand hat, in unserem demokratischen Miteinander. »Nie wieder ist jetzt« darf nicht wieder zu einer folgenlosen, rund um Gedenktage inflationär verwendeten Floskel verkommen. »Nie wieder ist jetzt« ist mehr – es ist ein Auftrag für uns alle und im Besonderen für unsere demokratischen Parteien, die wir in unsere Parlamente gewählt haben. Ich rufe den hier anwesenden demokratischen Politiker*innen und überall in unserem Land folgendes zu: Eure Arbeit gegen die Verfassungsfeine muss jetzt beginnen, für eine friedvolle und demokratische, für eine plurale Gesellschaft! Tragen wir diese Forderung von der Straße in unsere Rathäuser, in unsere Landtage und in den Bundestag. 

Zeitzeug*innen von Auschwitz, wie Esther Bejarano oder Max Mannheimer, haben uns ein Vermächtnis hinterlassen, aus dem ein Auftrag erwachsen ist. Erinnern an den Holocaust heißt, vor allem auch Empathie zeigen mit den heutigen Opfern von Antisemitismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit. Dies fordert von uns allen eine entschiedene Haltung gegen Hass und Hetze, gegen neofaschistisches und menschenverachtendes Gedankengut, das sich in unserer Gesellschaft besorgniserregend ausbreitet. Das alles vergiftet unser Zusammenleben und stellt einen Angriff auf unsere demokratische Verfassung dar. Angesichts der alarmierenden Entwicklung und Radikalisierung muss das große Schweigen ein Ende haben.  

Die Recherchen von Correctiv legten unmissverständlich offen, was viele in unserer Gesellschaft seit Jahren nicht wahr haben wollten: Die AfD, mit ihren skrupellosen Ideen- und Geldgebern, die auch hier im Landkreis Rosenheim zu finden sind, ist eine zutiefst gefährliche, antidemokratische und verfassungsfeindliche Partei. Viel zu lange wurde beschwichtigt, weggesehen, verleugnet. Und wir müssen aufhören, uns mit dem Märchen von den „gemäßigten“ AfD-Mitgliedern zu beruhigen. Diese Partei ist durch und durch rechtsextrem. Sie will mit ihren völkisch-nationalen Ideen unsere Demokratie zerstören, unsere liberale Gesellschaft  spalten und uns in ein autokratisches, diktatorisches System zwingen. 

Am Ende möchte ich Euch einen Gedanken von Max Mannheimer mitgeben:

»Und so träume ich von einer Welt, in der Humanität an erster Stelle steht, in der Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz haben. Von einer Welt, in der alle Menschen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Vergangenheit garantieren und aus der historischen Erfahrung von uns Überlebenden Handlungsmaximen für die Gegenwart ableiten.«

Stehen wir dafür ein, dass es kein Traum bleibt.



© Michael Stacheder, 3. Februar 2024
Alle Rechte vorbehalten.

Die Rede wurde am 3. Februar 2024 auf der Kundgebung Prien steht zusammen – für Demokratie und Vielfalt in Prien a. Chiemsee gehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Meine Rede vom 3. Februar 2024 zum Download:

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